Wenn ich überlege, was mir als Jugendlicher bei dem Begriff Politik durch den Kopf gegangen ist, dann sind das alte Leute, Themen, die ich nicht verstehe oder mich nicht interessieren und Anforderungen, die an mich gestellt werden. Politik war das, was im Bundestag war, es hatte mit Gesetzen und Berlin zu tun. OK, Berlin war schon cool, aber zum Feiern und nicht um vier Stunden vorm Reichstag zu stehen und darauf warten, dass man sich Büros und großartige Räume von reichen Leuten ansieht, die irgendwie wichtig sein sollten. Wenn man in der Schule Pech hatte, hatte dann noch ein*e Bundestagsabgeordnete*r Zeit für ein Gespräch, wo man erklärt bekam, dass die Politiker*innen viele Sitzungen und somit ganz viel Stress haben, es aber total toll sein soll, viele Termine und viel Stress zu haben. Ja genau – wo war nochmal die nächste Theke?
Nun bin ich deutlich älter als zu der Zeit, sitze im Stadtrat und im Kreistag der Stadt und des Landkreises Vechtas, seit fünf Jahren – wie ist das denn passiert?
Bunte Haare und linke Musik politisieren, aber wie kommt man dazu?
Eigentlich einfach: Freunde, Interessen, Erfahrungen, Spaß, Identität, etc.
Und das ist meistens auch für alle einleuchtend. Die Frage, die trotzdem bleibt:
Wieso wird Jugendlichen Politik nicht bezogen auf ihr Leben gezeigt? – Und ja, gezeigt, nicht erklärt!
Hierzu muss geklärt werden:
Was ist Politik?
Wenn man „Politik“ googelt, kommen folgende erste zwei Erklärungen:
- „alle Maßnahmen, die sich auf die Führung einer Gemeinschaft, eines Staates beziehen“
- „Methode, Art und Weise, bestimmte eigene Vorstellungen gegen andere Interessen durchzusetzen“
Politik ist somit nicht nur die langweilige und halb- erzwungene Maßnahme ein*e Klassensprecher*in zu wählen, sondern jeder Aushandlungsprozess und jedes Statement, welches Auswirkungen auf andere hat. – Das ist ne ganze Menge!
Jede Gruppenaufgabe ist Politik. Jede Frage nach Gemeinschaftswerten, gemeinsamen Regeln, etc. ist Politik, bzw. eine politische Haltung. Jedes Hinterfragen von gemeinschaftlichen Systemen ist politisch.
Ich fragte früher oft, ob wir den Unterricht früher beenden könnten, und meist anschließend, warum dies nicht ginge. Ein: „weil ich das sage!“ ist nicht nur autokratisch, sondern auch inhaltlich komplett falsch. Als ob eine Lehrkraft entscheidet, wie lange der Unterricht geht – ist ja albern.
Eine Rückmeldung wie „nein, wir beenden den Unterricht nicht früher, weil politisch festgelegt wurde, dass die Schulpflicht das und das umfasst und somit auch der Unterricht so getaktet ist.“ hätte mich wahrscheinlich erst irritiert, aber mir dann Raum gegeben, um darüber nachdenken zu können, wie man Veränderung erzeugen kann. Wenn ich gewusst hätte, dass es nicht überall kleine Diktator*innen gibt, sondern ich eine eigene Mächtigkeit im System habe, wäre dieser Handlungsraum sicherlich was gewesen, womit ich mich gerne auseinandergesetzt hätte.
Doch anstatt Politik interessant für Jugendliche zu machen und ihnen politische Räume aufzuzeigen, die auch gegen die Interessen der „Alten“ sein könnten, wird Politik oft verkauft als Räume, die Jugendlichen Erwachsenen von oben herab zugestanden werden, solange sie nicht ungemütliche Forderungen stellen. Das Recht auf die Beteiligung wird zwar oft nicht untersagt, aber es wird oft auch nicht mitgeteilt, dass man sich an allen Prozessen beteiligen kann und auch nicht, wie das jeweils geht. Komplizierte Beteiligungsmöglichkeiten oder ein in die Länge ziehen macht dann die Jugendlichen auch schnell mürbe, sodass die Jugendlichen Interessen einerseits nicht mehr stören, die Jugendlichen andererseits aber auch kein Bock mehr auf Politik haben werden.
Politik interessant für Jugendliche machen – aber wie?
Politik nahbar machen
Politik interessant für Jugendliche machen bedeutet, sich in erster Linie mit den Lebensrealitäten der Jugendlichen auseinanderzusetzen und die politischen Prozesse der eigenen Lebensräume aufzuzeigen. Der Diskurs über eigene Interessen und Fragen der Umsetzbarkeit. Jede*r Konflikt kann bspw. als politischer Prozess Transparenz gemacht werden. Regeln dürfen nicht als unverrückbare Hürden dargestellt werden, die Verrückbarkeit muss aufgezeigt werden, mit allen Herausforderungen und Schwierigkeiten, aber auch mit allen Möglichkeiten und Vorteilen. Somit eine Neutrale Gegenüberstellung, auch wenn Pädagog*innen oder Politiker*innen nicht begeistern von einer Veränderung wären. Das zu tun, ist Demokratie.
Politik erkennen
Die schlimmen Rap-Texte und Graffitis! – Quatsch! Rap und Graffiti ist politisch, selbst ohne Inhalt betrachtet. Sei es bei dem RAP, dass Arme Menschen aus der Bronx sich gehör verschaffen wollten oder Graffiti, bei der Frage, wem gehört die Stadt? Allein darüber zu diskutieren, erreicht oft schon Jugendliche. Wenn wir dann in die Texte und Inhalte gehen, sehen wir oft Wertediskussionen und Haltungen, wir sehen soziale Herkünfte, Ungerechtigkeiten, Gewalt und Emotionen. Natürlich kann man das alles kriminalisieren und schlecht reden – man kann es aber auch ernst nehmen und mit Jugendlichen darüber sprechen – und was wir als Gesellschaft verändern müssten, wie es geht und wo wir anfangen könnten…
Macht abgeben
Es gibt nicht nur die Jugendprojekte, an denen Jugendliche beteiligt werden und andere, mit denen sie nichts zu tun haben. Gute Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe haben bei Neubesetzungen von Stellen für Mitarbeitende Mitspracherecht. Sie können Mitentscheiden, welche Mitarbeitende gut für sie sind.
Wenn in Schulen Projekttage oder -wochen sind, wer bestimmt die Inhalte? Wer bestimmt im Unterricht, nach welchen Methoden Inhalte vermittelt werden? Wieso nicht Macht abgeben?
Politik runterbrechen
Was hat denn eine Straßenausbausatzung mit Jugendlichen zu tun? Muss man die da Beteiligen? – Naja, ich glaube, runtergebrochen geht das ziemlich gut. Ebenso mit Stadtentwicklungen, die Frage ob, wo und wie viele Parks und Grünflächen es braucht, oder ob das Schwimmbad umgebaut werden soll. Es trifft immer auch die Jugendlichen. Wenn nicht jetzt, dann in ein paar Jahren. Wenn Jugendliche jetzt mitentscheiden können, warum sie später welche Steuer zahlen, haben sie ein deutlich anderes Bewusstsein und eine andere Akzeptanz, als wenn man einfach Steuern zahlen muss, weil der Staat das sagt. – Wenn ich Demokratie fördern möchte, kann ich Demokratie hier schon durch Beteiligung erklären und zeigen.
Will man Politik interessant für Jugendliche machen?
Ich glaube nicht, dass ein Großteil sagt, dass man Jugendliche nicht beteiligen möchte, sondern eher, dass es schwer ist, große Systeme zu bewegen und dafür einerseits Öffnung zu schaffen und andererseits sich auf eine gemeinsame Sprache mit Jugendlichen einzulassen. Allein die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen baut Hürden und Druck auf. Hürden, weil man als Jugendliche*r schon gesagt bekommt, dass man eben anders, also „jugendlich“ ist, was oft als was Positives dargestellt wird, trotzdem immer mit aussagt, dass man eben nicht zu den anderen anwesenden o.ä. gehört und Druck, da man auch einmal mit einer Hand voll Leuten für alle Jugendlichen sprechen soll, oder es einem so ausgelegt wird.
Fazit:
Man kann Politik interessant für Jugendliche gestalten. Es gibt auch schon einige gute Beispiele der Umsetzung. Je größer Systeme werden, desto seltener scheint es aber. Ich glaube, dass es wichtig ist nicht zu vermitteln, dass Jugendliche die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen, sondern dass transportiert wird, dass Jugendliche das Recht haben, Politik zu gestalten und politische Prozesse Räume für Jugendliche von Grund auf mitdenken müssen.
Jugendliche sind politisch! – Doch wieso sollten Jugendliche sich auf unsere politischen Themen einlassen, wenn wir ihre Themen auch nicht wertschätzen?
– Egal ob Ärger in der Schule, Ärger mit der Polizei oder Ärger am Wochenende von A nach B zu kommen…
- Achja, da wären wir dann auch noch bei dem Thema Glaubwürdigkeit, bzw. glaubt man eher den Lehrkräften oder den Jugendlichen? Eher der Polizei oder den Jugendlichen?
Wenn dies nicht fair ist, wieso sollten Jugendliche dann noch Erwachsenen trauen? - aber das ein anderes Mal…
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