„Die sind im Osten alle Politikverdrossen!“ Persönlich habe ich da eher eine gegenteilige Erfahrung gemacht. Viele Menschen, besonders im Osten, sind politisch. Allerdings haben einige ein, sagen wir mal, interessantes Bild von Demokratie. Dieses Bild lässt sich jedoch zumindest in Teilen erklären.
Partizipation an der Demokratie - Ost und West
Demokratie in Deutschland ist ein Prozess, den die neuen Bundesländer nicht von Beginn ihrer Geschichte an mitgestalten konnten. Ein Versprechen seitens der Politik, dass nun zusammenwächst, was zusammengehört, kann sehr unterschiedlich empfunden und verstanden werden. Es wurde nicht neu darüber verhandelt, wie wir unsere Demokratie gestalten wollen in Deutschland. Stattdessen ging man davon aus, dass die Art und Weise, die Westdeutschland vorgibt, für alle Bürger*innen passt. Jede*r sollte sofort gleichermaßen dafür und eingebunden sein. Den gemeinsamen Prozess, etwa mit einer Bürgerbeteiligung, gab es nie. Es wurde versäumt, ein gesamtdeutsches Demokratiegefühl zu entwickeln.
Somit gibt es ein klares politisches Bewusstsein in den neuen Bundesländern, welches allerdings nicht komplett auf das der alten Bundesländer übertragbar ist. Viele Bürger*innen sind nach meinem Empfinden nicht politikverdrossen, sondern politiker*innenverdrossen. In den entsprechenden Regionen hilft es nicht, wenn in Berlin ein tolles Gesetz verabschiedet wird. Den Menschen fehlt das Gefühl, daran beteiligt zu sein.
Der Unterschied zur DDR ist nun, dass nicht „die Politik“ alles macht. Demokratie beinhaltet, dass jede*r Teil des politischen Diskurses, aber auch des politischen Handelns ist und Engagement zeigen kann/soll/darf.
Demokratie lernen - durch Partizipation und politische Bildung
Um Demokratie erlernen zu können, braucht es Übungsfelder, die es zwar überall gibt, die aber nicht bespielt werden. Es sind nicht nur die Politiker*innen oder Parteien, die Inhalte umsetzen, es muss immer wieder deutlich werden, dass dies nur durch die Wähler*innen gelang. Wir gemeinsam haben Plan X umgesetzt. Zudem gibt es viele Projekte, bspw. in jedem Dorf, die Partizipation ermöglichen könnten, wenn man will. Sei es die Gestaltung des Dorfplatzes, öffentliche Veranstaltungen, Stadtentwicklung, etc.
Je mehr Menschen vor Ort Tag für Tag in Prozesse involviert werden, desto weniger funktioniert es, dass sie darüber schimpfen, dass Politik macht was sie will. Aber: Politik darf keine Angst haben, Beteiligung zuzulassen.
Neben reinen Beteiligungsprozessen geht es um Inhalt und Werte. Insbesondere Themen wie Artikel 1 vs. Artikel 5, also die Würde des Menschen ist unantastbar und Meinungs- / Pressefreiheit.
Was ich oft, insbesondere in den neuen Bundesländern, gehört habe, ist, dass Beleidigungen und Rassismus als „Meinung“ empfunden werden und auch so argumentiert wird. Nicht umsonst ist der Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen…“ der 1. Artikel im Grundgesetz. Immer, wenn dies angegriffen wird, ist es nicht ok. Somit kann selbstverständlich Kritik gegenüber politischen Entscheidungen oder Situationen, Personen, etc. geäußert werden - allerdings nicht so, dass Menschen dabei (rassistisch, sexistisch, homophob, etc.) beleidigt werden.
Mitbestimmung statt Zeigefinger
Wie soll eine Abgrenzung gegenüber Demokratiefeinden geschehen, wenn nicht klar ist, was Demokratie ist? Welches Selbstverständnis hat die Person von sich als Demokrat*in, von der ich mir eine Abgrenzung zu Antidemokrat*innen wünsche? Oder bevormunde ich und komme mit einer arroganten Erwartung und sage, „Entferne dich von dieser Person, weil ich das so nicht richtig finde“ - was wäre an dieser Vorgehensweise demokratisch? Wäre es nicht autoritär?
Darf man sich entscheiden, ob man Demokrat*in wird oder geben wir es jemandem vor? Eine Vorgabe wäre ein Widerspruch, wir müssen Menschen aufgrund von demokratischen Vorteilen für die Demokratie gewinnen - durch politische Bildung und Partizipation.
Kommentar schreiben