Beratung gegen Rechtsextremismus – wie sieht das konkret aus?

Seit über 10 Jahren bin ich als Berater gegen Rechtsextremismus selbständig. In dieser Zeit bin ich auf viele unterschiedliche Fälle, in ganz unterschiedlichen Kontexten gestoßen. Von Kitas, Schulen, Kommunen, Betrieben, Vereinen und Verbänden und einigen mehr. Manchmal hat man es mit Menschen zu tun, die seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene sind und Menschen terrorisieren, manchmal mir Nachbarschaften, die vor Herausforderungen stehen, mal mit Menschen auf Betrieben die Kolleg*innen haben, die sich rechts äußern oder auch andere unter Druck setzen und wieder ein anderes Mal mit Kindern, die sich rassistisch beleidigen. Jeder Fall ist ein anderer, sodass ich in der Überschrift schon gelogen habe, da es nie konkret für Situationen sein kann, sondern ich nur über Beispiele berichten kann, über die dann die Art und Weise der Arbeit abzuleiten ist. Ich möchte von einem erzählen, von meinem ersten. 

Spannend war es, der erste Anruf mit der Frage, ob ich bereit wäre, einen Beratungsfall zu übernehmen. Es ging um eine Gesamtschule und einen 12-jährigen Schüler, der deutlich rechtsextrem auftreten würde. Er bedrohte andere Schüler*innen, meldete sich per Hitlergruß, hatte Ärger wegen Sachbeschädigungen, meist Schmierereien mit Hakenkreuzen, aber auch Gewalt. 

Gefühlt krempelte ich mir die Ärmel hoch – denn endlich, mein erster „kleiner Nazi“. 

Zu diesem Zeitpunkt war ich noch mit einer 30 Stunden Stelle in einer geschlossenen intensivtherapeutischen Wohngruppe tätig, mit ebenfalls deutlich interessanten Jugendlichen, doch vom Empfinden für mich war dies etwas Neues, denn: endlich ein Nazi!

Ich Vorfeld hatte ich ein Gespräch mit der Schulleitung, in dem wir einen Termin vereinbarten, zu dem ich dann auch gefahren bin. Bei der Schule angekommen, ging ich zur Rezeption, die die Schulleitung holte. Diese erzählte mir, dass sie den Jungen schon in einen separaten Raum geschickt hätte und er nun dort zu warten hätte (nebenbei: so zu Beginnen ist schon richtig dumm, aber gut, aller Anfang ist schwer…). 

Sie brachte mich zum Raum und meine Anspannung stieg. Wie sah er wohl aus? Wie aggressiv war sein Verhalten wohl? 

Ich öffnete die Tür und hinter dieser lauerte: Eine große Enttäuschung.

Kein haarloser, tätowierter, in Springerstiefeln steckender Riese sprang auf mich zu, sondern ein armes, kleines Würstchen saß mit herunterhängendem Kopf auf einem Stuhl vor mir. 

Ich war so irritiert von mir selbst, dass ich anfing zu lachen, worauf der Junge mich kritisch ansah und sagte „lachst du über mich, oder was?“ 

Ich verneinte dies und sagte, dass ich über mich lachen müsse, weil ich so dumm sei. Dies wiederum irritierte ihn, sodass er nachfragte, was ich meinte. Ich erklärte ihm, dass ich da sei, um mit ihm über Vorurteile zu sprechen, ich allerdings selbst mit einem Rucksack voller Vorurteile ihm gegenüber in dieses Gespräch gegangen bin und nun vor jemandem sitzen würde, der nun wahrlich anders ist. Er fragte, welches Bild ich von ihm gehabt hätte, was ich ihm offenlegt und er daraufhin selbst anfing zu lachen, weil er sich ebenso nicht so sieht. 

Ich habe ihn daraufhin gebeten, mir zu erzählen, wer er wirklich sei und was nun dazu führt, dass wir beide hier sitzen würden. Er war dazu bereit, wollte aber auch viel von mir wissen, was für mich kein Problem war. Wir haben beide über einen langen Prozess über eigene Haltungen, Werte und Vorurteile gesprochen und immer das Gegenüber gebeten, Stellung hierzu zu beziehen. 

Auch Fragen zur Fremd- und Selbstwahrnehmung, Taten und Worte, Handlungen und Absichten, sowie Mächte und Ohnmächte waren oft Thema in diesen Gesprächen. 

Ich bin mit dem Jungen in einen sehr guten Kontakt gekommen und wir freuten uns beide auf die Treffen. Unser Deal, dass wir beide an unseren Vorurteilen und Handlungen arbeiten und wir uns dabei gegenseitig bei diesen Treffen helfen würden, hat gut funktioniert. Der Junge machte schon recht schnell deutlich, dass er grundsätzlich wenig für rechtsextreme Grundhaltungen und Positionen über hätte, er es aber spannend fände und weil verboten erst richtig gut. Über die Arbeit zu den eigenen Werten wurde allerdings nach und nach für ihn klar, dass dies doch kein Weg für ihn ist, sodass er sich neue Räume suchte, um zwar auch teil provokant, aber nicht menschenverachtend unterwegs sein zu können. 

Auch wenn mir in der Beratung gegen Rechtsextremismus so einige spannende Fälle begegnet sind, habe ich u.a. bei diesem besonders viel über mich gelernt.